01.06.2023
Die Berufungskammer verurteilt Alieu KOSIAH wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen (CA.2022.8)



Die Berufungskammer des Bundesstrafgerichts hat Alieu KOSIAH der Verletzung kriegsrechtlicher Bestimmungen und der Verbrechen gegen die Menschlichkeit für schuldig befunden. Es hat die Höchststrafe von 20 Jahren Freiheitsstrafe, welche die Strafkammer in erster Instanz verhängt hatte, bestätigt. Dies ist das erste Mal, dass in der Schweiz eine Verurteilung wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit ausgesprochen wird.

Alieu KOSIAH hatte bei der Berufungskammer des Bundesstrafgerichts Berufung eingereicht gegen seine Verurteilung in erster Bundesinstanz wegen Verletzung kriegsrechtlicher Bestimmungen und einen Freispruch beantragt. In der Folge erklärten die Bundesanwaltschaft und die liberianischen Opfer je Anschlussberufung. Sie beantragten die Verurteilung von Alieu KOSIAH für bestimmte Taten, die von der Strafkammer nach der erstinstanzlichen Verhandlung nicht als erwiesen angesehen wurden. Die Opfer beantragten auch, dass die angeklagten Handlungen nicht nur als Verletzungen kriegsrechtlicher Bestimmungen, sondern auch als Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingestuft werden.

Die Berufungsverhandlung dauerte zwölf Tage und fand vom 11. Januar bis 3. Februar 2023 statt. Die Berufungskamer führte Einvernahmen mit den sieben Opfern und einem Zeugen durch, die alle aus Liberia gekommen waren. Der Beschuldigte wurde ausführlich befragt und konnte sich jeweils nach den Einvernahmen der Kläger zu den Vorwürfen äussern, ebenso wie zum allgemeinen Kontext in Liberia während des ersten Bürgerkriegs.

Zu seiner Verteidigung machte der Beschuldigte geltend, dass die Anschuldigungen der Opfer Teil einer Verschwörung gegen ihn seien, die von der NGO Civitas Maxima inszeniert worden sei. Das zweite Hauptargument der Verteidigung bestand darin, die Anwesenheit von Alieu KOSIAH in der Grafschaft Lofa zum Zeitpunkt der vorgeworfenen Taten zu bestreiten.

Basierend auf den in den Akten befindlichen Dokumenten, schliesst das Gericht die Hypothese einer Verschwörung gegen den Beschuldigten Alieu KOSIAH aus. Auch die zweite Behauptung hält der Aktenlage nicht stand und wird vom Gericht ebenfalls verworfen.

Die Aussagen der Opfer erscheinen dem Gericht trotz des Zeitablaufs glaubhaft. Es sei hier an den besonderen Kontext der Einvernahmen dieser Personen erinnert, die im Rahmen des Verfahrens zum dritten Mal in die Schweiz gereist waren, um vor einer schweizerischen Justiz­behörde auszusagen. Die Berufungskammer gelangt zum Schluss, dass fast alle Vorwürfe, die Gegenstand der Anklage sind, nachgewiesen sind. Sie legt Alieu KOSIAH im Ergebnis folgende Handlungen gegenüber Zivilisten zur Last: Menschen getötet und hinrichten lassen zu haben; Gehilfe bei einer Hinrichtung und einem Tötungsversuch gewesen zu sein; für grausame Handlungen verantwortlich zu sein; eine Frau vergewaltigt zu haben; die Würde eines Verstorbenen verletzt zu haben; sowie Plünderungen angeordnet und in diesem Zusam­menhang mehrere Zwangstransporte von Dorfbewohnern unter unmenschlichen Bedingungen angeordnet oder geleitet zu haben. Zudem wird ihm zur Last gelegt, einen Kindersoldaten eingesetzt zu haben. Für all diese Taten wurde Alieu KOSIAH wegen Verstosses gegen kriegsrechtliche Bestimmungen verurteilt. Nur in Bezug auf einen der Zwangstransporte erfolgte, im Zweifel für den Angeklagten, ein Freispruch.

Was das anwendbare Recht betrifft, ist die Berufungskammer der Ansicht, dass die dem Beschuldigten zur Last gelegten vorsätzlichen Tötüngen Teil eines allgemeinen Angriffs auf Zivilisten waren und als Verbrechen gegen die Menschlichkeit einzustufen sind. Nach Auffassung des Gerichts ist die 2011 in das Schweizer Recht eingeführte Bestimmung anwendbar, auch wenn die Taten bis in die frühen 90er Jahre zurückreichen, da die angeklagten vorsätzlichen Tötüngen nicht verjährt sind. Es handelt sich um die erste Anwendung dieses Straftatbestands in einem Urteil in der Schweiz. Bezüglich der anderen Anklagepunkte (ausser den vorsätzlichen Tötüngen), die unter dem Gesichtspunkt der Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Betracht kamen, wurde das Strafverfahren eingestellt. Diesbezüglich war die Verjährung eingetreten, bevor die Bestimmungen zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Schweizer Recht in Kraft getreten sind.

Aus verfahrensrechtlichen Gründen wird der qualifizierte Fall der Verbrechen gegen die Menschlichkeit, der eine lebenslange Freiheitsstrafe vorsieht, vom Gericht nicht geprüft. Daher bleibt das gesetzliche Maximum bei 20 Jahren Freiheitsstrafe. Bei der Strafzumessung wird deutlich, dass die Kumulierung der Verurteilungen theoretisch zu einer Strafe führen würde, die ihrem Vielfachen entspricht.

Das Gericht verbindet die Freiheitsstrafe von 20 Jahren mit einer 10-jährigen Landesverwei­sung aus der Schweiz und spricht den Klägern Entschädigungen für immaterielle Schäden zu.

Dieses Urteil kann innert 30 Tagen nach Eröffnung der vollständigen Ausfertigung mit Beschwerde in Strafsachen beim Bundesgericht angefochten werden.

Für den detaillierten Inhalt des Urteils der Berufungskammer wird auf das entsprechende Urteilsdispositiv verwiesen.


Beilagen: Dispositiv CA.2022.8 vom 30.05.2023, Medienmitteilung in Englisch 



Kontakt:
Estelle de Luze, Kommunikationsbeauftragte, presse@bstger.ch, Tel.: 058 480 68 68





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